Die Gedenkstätte Münchmühle des Landkreises Marburg-Biedenkopf
„Wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie noch einmal zu erleben.“ Dieses Zitat von George de Santayana (Philosoph und Schriftsteller, 1863-1952) ist auf der Bronzetafel in der Gedenkstätte Münchmühle zu lesen.
Das Lager „Münchmühle“, gelegen an der Straße von Kirchhain nach Neustadt/Hessen vor den Toren der heutigen Stadt Stadtallendorf, wurde nach der nahe gelegenen Münchmühle benannt.
Das Lager wurde bereits 1940 erbaut. Hier waren Zwangsarbeitende untergebracht, die in den nahe gelegenen Sprengstoffwerken arbeiten mussten. Es war das größte Sprengstoffwerk während der NS-Zeit, was die Dimensionen auch der Zwangsarbeitenden aufzeigt. Es gab mehrere Lager an verschiedenen Orten rings um die Sprengstofffabriken. Insgesamt 17.500 bis 20.000 Menschen wurden hier zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie kamen aus insgesamt 29 Nationen. Im Lager Münchmühle waren zu verschiedenen Zeiten Italiener, Franzosen, Polen, Serben und Niederländer untergebracht.
Von August 1944 bis Ende März 1945 wurde das Lager Münchmühle mit eigenem Wachpersonal zu einem Außenlager des KZ Buchenwald. Dort wurden 1.000 jüdische Frauen, vor allem aus Ungarn und ein kleiner Teil aus der Slowakei zur Zwangsarbeit aussortiert, um in den Sprengstoffwerken vor dem damaligen Allendorf zu arbeiten. Rund 140 Frauen wurden in jeweils einer der sieben Baracken der Münchmühle untergebracht.
Die älteste Frau war 53 Jahre alt, die jüngste gerade erst 15 Jahre alt.
An sechs Tagen in der Woche mussten die Frauen 8 bis 12 Stunden in Schichten arbeiten. Dabei waren die Bedingungen in den Sprengstoffwerken, bei denen die Frauen ungeschützt mit dem Sprengstoff in Berührung kamen, gesundheitlich sehr belastend; so sehr, dass sich ihre Haut, ihre Fingernägel gelb sowie die Haare violett verfärbten.
Diese Gedenkstätte ist einer der Orte im Landkreis, die aufzeigen, was im unmenschlichen Sinn alles möglich ist, wenn man die Pfade der Demokratie verlässt. Der drei Meter hohe Stacheldrahtzaun mit nach innen ragenden Pfosten erzeugt auch heute noch schnell eine Bedrückung und ein Unwohlsein. Es ist ein beklemmender Ort!
Es handelt sich um einen authentischen Ort, ein kleiner Ausschnitt aus dem Gelände des Außenkommandos des Konzentrationslagers Buchenwald, an dem 1.000 ungarische Jüdinnen gegen ihren Willen als Zwangsarbeiterinnen für die Rüstungsindustrie kaserniert wurden. Die Bedrückung, die man hier heute noch empfindet, ist ein Nichts dagegen, was die Frauen damals empfunden haben müssen. Damals ging es um deren Überleben unter unmenschlichen Umständen.
Eva Fahidi-Pusztai, die damals als junge Frau und Zwangsarbeiterin hier kaserniert war, kam über Jahrzehnte hinweg oft nach Stadtallendorf und in andere Orte des Kreises und ist dabei besonders in Schulen als Zeitzeugin tätig gewesen. Sie zeigte in einer äußerst beeindruckenden Form die damaligen Gräuel der NS-Herrschaft auf.
Ein Zitat von ihr zeigt auf, was sie erlebt hat:
„Ich sehe uns, die Zitronen, wie uns die Allendorfer damals nannten, in unseren grauen Kitteln, mit den Ziffern darauf. Ich sehe unsere gelbe Haut und lila Haare. Ich sehe uns, wie wir schon alle, mindestens ein Drittel unseres normalen Körpergewichtes verloren haben und wie lebende Gespenster hier herumwackelten.
Ich sehe uns, wie wir am Appellplatz zittern, im Winter, früh morgens, als es noch finster ist. Noch einmal am Abend, als es wieder finster ist. In der Zwischenzeit sind wir im Werk. Wochenlang sehen wir die Sonne nicht. Wir stehen da, in unseren Holzklumpen, barfuß, in Fetzen gekleidet, die keine Wärme geben. Die Decke, die einzige Decke die unsere Bettwäsche bildet, dürfen wir nicht um uns winden. Ich stehe auch da. Auch ich zittere. Fragen stellen sich: Weshalb, was habe ich in meinem langen Leben von 18 1/2 Jahren getan, dass ich diese Strafe verdiene?
Unter den 1.000 Frauen, die da mit mir stehen, bin ich im tiefsten Brunnen der Welt, bin ganz allein und verlassen, in vollkommener Einsamkeit. Ich habe niemanden und nichts, niemand kümmert sich um mich, niemand würde es merken, wenn ich verschwinden würde. Und die 999 Frauen, die mit mir zusammen da auf dem Appellplatz zittern, spüren dasselbe.
Wir sind im Werk. Wir arbeiten nicht als Menschen, sogar auch nicht als Maschinen, wir arbeiten als Häftlinge. Ein Häftling ist kein menschliches Wesen. Ein Häftling hat keinen Namen. Ein Häftling ist nur eine Ziffer. Hat keine Vergangenheit, noch weniger eine andere Zukunft, als die Gaskammer. Ein Häftling hat keine Persönlichkeit. Jeder Deutsche kann ihn ohrfeigen, mit dem Fuß stoßen, zur unerträglichen Arbeit zwingen, verfluchen, schimpfen, quälen, dazu ist er da. Wer einmal ein Häftling war, wird nie wieder, was er vorher war. Etwas ist in ihm gerissen. Etwas Unschweißbares.“
Dieses kleine Zitat lässt erahnen, was die Frauen aushalten mussten.
Der Landkreis hat vor einigen Jahren gemeinsam mit dem Dokumentations- und Informationszentrum (= DIZ) Schilder mit den Namen der 1.000 ehemaligen, jüdischen Zwangsarbeiterinnen anbringen lassen, von denen 2025 wahrscheinlich keine Frau mehr lebt. Die vielen, vielen Namen an den Pfosten zeigen die Dimension der willkürlichen und menschenverachtenden Naziherrschaft.
In die Amtszeit von Landrat Prof. Dr. Kurt Kliem fielen sowohl die Idee als auch der Bau dieser beeindruckenden Gedenkstätte, die 1988 der Öffentlichkeit übergeben werden konnte. Ohne sein großes Engagement hätte es das Mahnmal nicht gegeben.
Geplant und umgesetzt wurde dieses Mahnmal von Hans Kraft, einem früheren Mitarbeiter der Kreisverwaltung. In der Reduktion und Schlichtheit der Anlage liegt seine besondere Aussagekraft. Das Ziel, ein Gefühl des „Eingeschlossen-Seins“ zu erzeugen, ist vollauf gelungen. Landrat Dr. Kliem sagte 1988: „Im Zentrum steht ein Eisentor. Es soll absichtlich rosten, als Symbol dafür, dass diejenigen, welche in solchen Lagern Menschen gefangen halten, nicht auf Dauer Macht und Gewalt ausüben“.
Die Gedenkstätte Münchmühle ist jedoch auch immer im Zusammenhang mit dem DIZ Stadtallendorf zu sehen, mit dem der Landkreis seit der Gründung des DIZ eine enge und wichtige Zusammenarbeit pflegt. Im DIZ wird eine hervorragend gute Arbeit geleistet.
Dieser Ort der Münchmühle lehrt auch Demut. Es ist ein Ort, der von möglichst vielen Schülerinnen und Schülern in den entsprechenden Jahrgangsstufen aufgesucht werden sollte.
Die Gedenkstätte Münchmühle ist ausgeschildert und öffentlich zugänglich.