Marburg-Biedenkopf – Der Landkreis Marburg-Biedenkopf lädt im Rahmen der Reihe „Befreiung 1945. Auf zur Demokratie!“ für Freitag, 27. Juni 2025, zu einem Vortrag mit dem Titel „Wiedersehen nach der Shoah. Nachbarschaft im Landkreis Marburg 1941 bis 1954“ ein. Die Wissenschaftlerin Anna Junge wird dabei historische Hintergründe über die jüdisch-nichtjüdische Konfrontation beleuchten. Der Vortrag im Sitzungssaal des Marburger Landratsamtes (Im Lichtenholz 60) beginnt um 19 Uhr. Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei. Der Veranstaltungsort ist barrierefrei. Die Veranstaltung wird im Rahmen des Bundesprogramms „Aller.Land“ gefördert.
Der Vortrag von Anna Junge widmet sich den nachbarschaftlichen Beziehungen von deutschen Shoah-Überlebenden, die 1945 aus Konzentrationslagern und von Todesmärschen in ihre westdeutschen Heimatdörfer zurückkehrten. Auf dem Land waren sie zumeist die einzigen jüdischen Überlebenden im Ort und auf Hilfe angewiesen. In Spruchkammer- und Rückerstattungsverfahren traf sich die Nachbarschaft bald vor Gericht und verhandelte die Vergangenheit. Am Beispiel einiger Orte im Landkreis Marburg wird gezeigt, dass diejenigen Überlebenden, die langfristig bleiben wollten, große Anstrengungen unternahmen, um im Dorf akzeptiert zu werden und sich dauerhaft an die herrschenden Verhältnisse anpassten.
„Die Wissenschaftlerin Anna Junge behandelt mit ihrem Vortrag ein Thema, das bislang kaum betrachtet wurde. Und die Beispiele beschäftigen sich gerade mit Orten aus dem Landkreis. Wer von den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern die NS-Zeit überlebt hatte, sah sich vor große Probleme gestellt. Was ist zum Beispiel mit dem Besitz passiert oder wie reagierten die Menschen vor Ort auf die Überlebenden, die in ihre Heimatorte zurückkehrten?“, erläutert Landrat Jens Womelsdorf.
„Wir hatten geglaubt, überall Entgegenkommen zu finden“, doch nun begann der Kampf um die Existenz“, sagte die Mardorfer Überlebende Ilse Flachsmann (1915 bis 2008) am 10. April 1948. „Dieses Beispiel zeigt, wie schwer es für die Überlebenden des Holocaust war, wieder in ihren Wohnorten anzukommen und anerkannt zu werden“, so Womelsdorf.
Klaus-Peter Friedrich von der Geschichtswerkstatt Marburg findet Thema und Vortrag wichtig: „Nach den grundlegenden Publikationen der Geschichtswerkstatt über die hiesige jüdische Geschichte in der NS-Zeit hat Anna Junge ihr Augenmerk nun auf die folgenden Jahre gerichtet. Ihre eingehenden Forschungen zur schwierigen Situation der jüdischen Holocaust-Überlebenden im Marburger Land fügen unserem Bild von den Zeitumständen gleich nach dem Ende des NS-Regimes neue und bedeutsame Aspekte hinzu, die uns auch 80 Jahre danach noch berühren.“
Die Referentin Anna Junge hat ihre Doktorarbeit über „Unerwartete Nachbarschaft. Jüdisch-nichtjüdische Konfrontationen 1945 bis 1948 im ländlichen Raum Hessens“ als Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin verfolgt und inzwischen abgeschlossen.