Marburg-Biedenkopf – Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich, sondern müssen stetig beschützt und bewahrt werden. Insbesondere vor dem Hintergrund steigender Bedrohungen von Innen und Außen. Das machte Bernd Neumann, Chef des hessischen Verfassungsschutzes, bei seinem Vortrag im Marburger Landratsamt deutlich. „Die Aufgaben wachsen für den Verfassungsschutz“, betonte Neumann als Hessens oberster Verfassungsschützer.
„Ich bin nicht hier, um Ihnen Angst zu machen. Sondern um zu sensibilisieren, damit Sie Extremistinnen und Extremisten noch besser erkennen“, sagte Neumann zu den Gästen. Denn die Gefahr durch extremistische Aktivitäten nehme derzeit weiter zu. Insbesondere die Spionageabwehr im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sei derzeit ein großes Thema, „das spüren wir auch in Hessen“, machte Neumann deutlich. Beispielsweise wegen Cyberangriffen und Desinformationskampagnen. Zudem bestehe Gefahr durch Sabotageakte auf kritische Infrastruktur, also beispielsweise die Energieversorgung.
Aber nicht nur auf die Gefahr aus Russland ging der Behördenchef ein. Auch mögliche Bedrohungen aus China würden den Verfassungsschutz sehr beschäftigen. Neben den Bedrohungen durch Agenten anderer Länder werde das demokratische System aber auch von inneren Kräften bedroht. So gehe auch vom Islamismus weiter große Gefahr aus. Als aktuelle Beispiele dafür nannte Neumann die Gewalttaten in Mannheim und Solingen. Und in der linksextremistischen Szene sei eine gestiegene Gewaltbereitschaft insbesondere gegenüber politischen Gegnern festzustellen.
Nicht immer bestehe die Bedrohung durch die unterschiedlichen Strömungen aus konkreten beziehungsweise erfolgreichen Gewalttaten, vielmehr sei der Verfassungsschutz das „Frühwarnsystem der deutschen Sicherheitsarchitektur“.
Verfassungsschutz-Mitarbeiterin spricht über Rechtsextremismus in sozialen Medien
Die größte Gefahr gehe derzeit vom Rechtsextremismus aus, betonte Neumann. Neben einem sehr hohen Gewaltpotential gebe es hier häufig Umsturzfantasien, aber auch Verbindungen zu sogenannten Reichsbürgern und Selbstverwaltern. Insbesondere in den sozialen Medien seien rechtsextreme Gruppen und Personen zudem immer stärker präsent.
Lea Plavcic, Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, ging in ihrem Redebeitrag dann genauer auf die Gefahr von rechtsextremistischen Inhalten in sozialen Medien ein und wie diese verbreitet werden. „Rechtsextremisten sind Medienprofis“, warnte Plavcic. Das Vorgehen bei der Verbreitung von Inhalten erfolge häufig professionell und in genauer Kenntnis der Anforderungen der jeweiligen Plattform, damit sich Inhalte weit verbreiten. Als enorm wichtige Plattform für rechtsextreme Agitatoren nannte Plavcic eine beliebte App für junge Menschen aus China, die auf Kurzvideos setze. Häufig werde mit vermeintlich harmlosen und „normalen“ Inhalten zunächst Vertrauen aufgebaut, erst später offenbaren sich dann die rechtsextremen Inhalte und Ansichten. Häufig werde versucht, durch Videos mit „Unterhaltungswert“ ein positives Lebensgefühl und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu vermitteln, machte Plavcic deutlich. Nicht immer seien die Inhalte rechtlich strafbar, was das Entfernen der Videos durch die Betreiber zusätzlich erschwere. Teilweise fände aber auch kaum eine Moderation der Inhalte statt. Und gehen Beiträge erst einmal viral, erreichen also eine sehr hohe Reichweite, dann kämen auch Personen mit den extremistischen Inhalten in Kontakt, die nicht explizit danach suchen.
Unterschätzt werden dürfe auch nicht der Einfluss, den soziale Medien mittlerweile auf die Lebensrealität gerade von jungen Menschen hätten: „Insbesondere für die Generation Z sind Dinge im Netz so real wie in der analogen Welt“, stellte die Verfassungsschützerin fest. Das zunehmende Bedürfnis nach mundgerechten und einfachen Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen sei eine zusätzliche Herausforderung. „Menschen sind in der Regel nicht in den sozialen Medien unterwegs, um kritisch nachzudenken“, sagte Plavcic machte aber auch deutlich: „Niemand radikalisiert sich nur wegen social media, es stehen immer noch weitere Bedürfnisse dahinter.“
Landrat im Gespräch mit Verfassungsschutzpräsident
Abgerundet wurde der Abend durch ein Gespräch zwischen Landrat Jens Womelsdorf und Verfassungsschutzpräsident Neumann, moderiert von Ralf Laumer, Leiter des Landratsbüros. Womelsdorf und Neumann sprachen unter anderem über die Frage, welcher Rolle die Zivilgesellschaft einnehmen kann, um extremistischen Strömen entgegentreten zu können. Wichtig sei dafür, die Demokratie weiter zu stärken, betonte der Landrat. Dazu leiste auch die Kreisverwaltung einen Beitrag: Transparent sein, erklären, was und warum die Verwaltung tut, sowie Bürgerbeteiligung seien wichtige Bausteine.
Bezogen auf den Verfassungsschutz sagte Neumann: „Wir brauchen in der Gesellschaft einen breiten Schulterschluss, um Extremisten entgegenzutreten.“ Dafür müssten die Menschen aber dahingehend sensibilisiert sein, dass sie diese auch möglichst gut erkennen. Genau das sei Aufgabe des Verfassungsschutzes „und dafür müssen wir zukünftig noch mehr tun“, so Neumann. Veranstaltungen wie die des Kreises seien genau der richtige Weg, um dies voranzutreiben. „Deshalb vielen Dank für die Einladung“.