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2. Allgemeinverfügung des Kreisausschusses des Landkreises Marburg-Biedenkopf zur Bekämpfung des Corona-Virus

14.03.2020

Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf hat eine weitere Allgemeinverfügung gemäß § 35 S. 2 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG), § 28 Infektionsschutzgesetz (IfSG) mit folgendem Wortlaut erlassen:

Allgemeinverfügung

Aufgrund § 28 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) vom 20.07.2000 (BGBI. I S. 1045) zuletzt geändert durch Gesetz v. 10.02.2020 (BGBl. I S 148) in Verbindung mit § 5 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst (HGöGD) vom 28.09.2007 (GVBI. I S. 659) zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.05.2018 (GVBI. S. 82) sowie § 35 S. 2 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung vom 15.01.2010 (GVBI. I S. 18) zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.09.2018 (GVBI. S. 570)

ordnen wir ab sofort zum Schutz der Bevölkerung des Landkreises Marburg-Biedenkopf vor dem ansteckenden Erreger SARS-CoV-2 an:

  1. Öffentliche und private Veranstaltungen im Gebiet des Landkreises Marburg-Biedenkopf für die mehr als 50 teilnehmende Personen zu erwarten sind, sind ab sofort bis einschließlich 19.04.2020 untersagt. Eine Verlängerung der Frist wird vorbehalten.
  2. Diese Regelung gilt nicht für Bildungseinrichtungen wie Schulen, Universitäten und Fachhochschulen sowie für Betreuungseinrichtungen für Kinder unter 16 Jahren.
  3. Unbeschadet der Anordnung unter Ziffer 1 dieser Verfügung wird dringend empfohlen, alle öffentlichen und privaten Veranstaltungen, die nicht unter Ziffer 1 fallen, nur durchzuführen, wenn hierfür eine zwingende Notwendigkeit besteht. Anordnungen der Gesundheitsbehörde bleiben vorbehalten.
  4. Badeanstalten im Gebiet des Landkreises Marburg-Biedenkopf werden ab sofort bis einschließlich 19.04.2020 geschlossen.

Begründung:
Die Zuständigkeit des Kreisausschusses des Landkreises Marburg-Biedenkopf zum Erlass dieser Anordnung ergibt sich aus §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 5 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über den öffentlichenGesundheitsdienst (HGöGD).

§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ermächtigen die zuständigen Behörde,die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, insbesondere Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen zu beschränken oder zu verbieten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden.

Das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) breitet sich in vielen Ländern weiter aus. Auch Deutschland und der Landkreis Marburg-Biedenkopf sind betroffen. Eine weltweite Verbreitung des Erregers ist zu erwarten. Viele Eigenschaften diese neuartigen Virus sind momentan noch nicht genau bekannt, zum Beispiel der Zeitraum der höchsten Ansteckungsfähigkeit (Infektiosität), die Zeitdauer, bis nach Ansteckung bei einem Infizierten Symptome erkennbar sind (Inkubationszeit), wie schwer die Krankheit verläuft oder über welchen Zeitraum Erkrankte Viren ausscheiden bzw. noch infektiös sind. Der aktuelle Wissensstand bezieht sich auf Beobachtungen in China sowie auf Rückschlüsse zu Kenntnissen, die über ähnliche Coronaviren (SARS, MERS) vorliegen. Um Wissenslücken zu schließen, werden die neuartigen Viren in verschiedenen Laboren weltweit untersucht, Krankheitsfälle und das Umfeld werden genau beobachtet, analysiert und bewertet. Die dabei erhobenen und ausgewerteten Daten werden auf internationaler Ebene ausgetauscht um die zur Bekämpfung notwendigen Maßnahmen abstimmen und anpassen zu können.

Der Landkreis Marburg-Biedenkopf hat mit Datum vom 12.03.2020 eine Allgemeinverfügung zum Schutz der Bevölkerung des Landkreises Marburg-Biedenkopf vor dem ansteckenden Erreger SARSCoV-2 erlassen. Seitdem hat sich die Situation sehr dynamisch weiterentwickelt, so dass der Erlass einer weitergehenden Allgemeinverfügung zum Schutze der Bevölkerung notwendig ist. Das Robert-Koch-Institut (RKI) beobachtet und analysiert die Lage sehr genau und leitet daraus Empfehlungen für Infektionsschutzmaßnahmen ab, die an die jeweilige Situation laufend angepasst werden.

Im Landkreis Marburg-Biedenkopf sind mit Datum vom 14.03.2020 10 Personen festgestellt worden, die an COVID-19 erkrankt sind. Darüber hinaus werden mehr als 45 Personen als begründete Verdachtsfälle eingestuft und in häusliche Absonderung gegeben, da sie mit den vorgenannten Personen Kontakt hatten oder mit anderen infizierten Personen außerhalb Hessens in Kontakt standen. Eine weitaus größere Anzahl von Personen (Reiserückkehrer aus Risikogebieten) wurde unter besondere Beobachtung durch das Gesundheitsamt gestellt.

In der aktuellen Situation, in der die meisten Fälle in Deutschland vereinzelt im Zusammenhang mit einem Aufenthalt in einem Risikogebiet oder in lokalen Clustern auftreten, empfiehlt das RKI eine Eindämmungsstrategie (Containment). Eine aktuelle Risikobewertung des RKI für Deutschland ist unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html?nn=13490888 (Öffnet in einem neuen Tab) abrufbar. Die massiven Anstrengungen auf alien Ebenen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) verfolgen das Ziel, einzelne Infektionen so früh wie möglich zu erkennen und die weitere Ausbreitung des Virus dadurch so weit wie möglich zu verhindern.

Um das zu erreichen, müssen Infektionsketten so schnell wie möglich unterbrochen werden. Dies gelingt nur, wenn Kontaktpersonen von labordiagnostisch bestätigten Infektionsfällen möglichst lückenlos identifiziert und für 14 Tage (die maximale Dauer der Inkubationszeit) in häuslicher Quarantäne untergebracht werden (siehe RKI-Empfehlung zur Kontaktpersonennachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das neuartige Coronavirus). In diesen 14 Tagen ist das Gesundheitsamt mit den Betroffenen täglich in Kontakt, um rasch handeln zu können, falls Symptome auftreten sollten. Auch wenn nicht alle Erkrankungen und Kontakte rechtzeitig identifiziert werden können, bewirken diese Anstrengungen, dass die Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung so stark wie möglich verlangsamt wird. Eine Erkrankungswelle in Deutschland soll hinausgezögert und deren Dynamik abgeschwächt werden.

Ziel dieser Strategie ist es, Zeit zu gewinnen, um sich bestmöglich vorzubereiten und mehr über die Eigenschaften des Virus zu erfahren, Risikogruppen zu identifizieren, Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Gruppen vorzubereiten, Behandlungskapazitäten in Kliniken zu erhöhen und zu erhalten, sowie antivirale Medikamente und die Impfstoffentwicklung auszuloten. Auch soll ein Zusammentreffen mit der aktuell in Deutschland und Europa laufenden Influenzawelle soweit wie möglich vermieden werden, da dies zu einer maximalen Belastung der medizinischen Versorgungsstrukturen führen könnte.

Ansammlungen von Menschen tragen dazu bei, das Virus schneller zu verbreiten. Daher ist aufgrund der aktuelle Lage die Untersagung gerechtfertigt, um der vorrangigen Gesundheitssicherheit der Bevölkerung Rechnung zu tragen.

Durch den vorherrschenden Übertragungsweg von SARS-CoV-2 (Tröpfchen) z.B. durch Husten, Niesen oder teils mild erkrankte oder auch asymptomatisch infizierte Personen kann es zu Übertragungen von Mensch-zu-Mensch kommen. Auch Übertragungen durch Schmierinfektionen sind beschrieben, betreffen allerdings nur einen kleinen Teil der Fälle. Übertragungen kommen im privaten und beruflichen Umfeld, aber auch bei kleineren und größeren Veranstaltungen vor. Größere Ausbrüche wurden in Zusammenhang mit Konferenzen (Singapur), Reisegruppen, Gottesdiensten (Südkorea) oder auch Karnevalsveranstaltungen (Deutschland) beschrieben. Auf Messen, Kongressen, kleineren oder größeren Veranstaltungen kann es daher zu einer Übertragung auf viele Personen kommen.

Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration hat mit Erlass vom 12.03.2020 (ohne Aktenzeichen) die kommunalen Gesundheitsämter angewiesen, Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern (Großveranstaltungen) mit Ausnahme des Besuchs von Bildungseinrichtungen im Wege der Allgemeinverfügung unverzüglich bis zum 10.04.2020 zu verbieten. Eine Ausnahme ist aufgrund der Weisung nicht zulässig. Aufgrund der aktuellen Risikobewertung werden im Wege dieser Allgemeinverfügung nunmehr Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern mit Ausnahme des Besuchs von Bildungseinrichtungen unverzüglich bis zum 19.04.2020 verboten.

Der Veranstaltungsbegriff ist hierbei grundsätzlich weit zu fassen: Hierunter fallen nicht nur Sportereignisse mit einer entsprechenden Zuschauerzahl, sondern insbesondere auch Kongresse, Messen und Tagungen, Theater, Konzerte und ähnliche Festivitäten, aber auch Personal-, Betriebs-, Aktionärs- und Gesellschafterversammlungen. Nicht unter den Veranstaltungsbegriff fällt der Besuch von Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten sowie der Besuch von Betreuungseinrichtungen für Kinder unter 16 Jahren. Die Schließung von Badeanstalten dient ebenfalls dem Schutz der Bevölkerung des Landkreises Marburg-Biedenkopf vor dem ansteckenden Erreger SARS-CoV-2.

Zum Schutz der Bevölkerung des Landkreises Marburg-Biedenkopf vor dem ansteckenden Erreger ist daher die vorliegende Allgemeinverfügung nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich und aufgrund der aktuellen Situation auch angemessen. Ein milderes Mittel, wie die getroffene Anordnung mit gleichen oder besseren Erfolgsaussichten, ist nicht gegeben. Der Erlass der Allgemeinverfügung sowie die dort getroffenen Maßnahmen erfolgen nach pflichtgemäßen Ermessen.

Dies bedeutet nicht, dass bei kleineren Veranstaltungen mit weniger als 51 teilnehmenden Personen die Durchführung für die öffentliche Gesundheit gefahrlos wäre. Hier trägt die Verantwortung bis auf Weiteres der jeweilige Veranstalter. Die Gesundheitsbehörde des Landkreises Marburg-Biedenkopf weist auf die Risiken derartiger kleinerer Veranstaltungen für die Besucher und die Veranstalter ausdrücklich hin. Demgemäß wird in Ziffer 3 dieser Verfügung dringend empfohlen, alle öffentlichen und privaten Veranstaltungen, die nicht unter Ziffer 1 fallen, nur durchzuführen, wenn hierfür eine zwingende Notwendigkeit besteht. Weitergehende Verfügungen werden bei einer veränderten Risikolage ausdrücklich vorbehalten.

Durch die Regelung in Ziffer 1. werden alle öffentlichen und privaten Veranstaltungen sowohl in geschlossenen Räumlichkeiten wie auch im Freien betroffen. Die evtl. auftretende Frage einer möglichen Beeinträchtigung des Versammlungsrechtes durch das hier vorrangige Infektionsschutzrecht ist im Einzelfall zu lösen. Da durch die Verfügung - wie ausgeführt - eine schnelle Verbreitung des Virus verhindert werden muss und von der Anordnung alle Personen betroffen sind, die sich im Landkreis Marburg-Biedenkopf aufhalten, wird von einer vorherigen Anhörung gem. § 28 Abs. 2 Nr. 4 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz abgesehen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diese Verfügung kann innerhalb eines Monats nach ihrer Bekanntgabe Klage bei dem Verwaltungsgericht in Gießen, Marburger Straße 4, 35390 Gießen, erhoben werden.


Hinweise:

Eine Anfechtungsklage gegen diese Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung (§§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG).

Eine Nichtbeachtung dieser sofort vollziehbaren Verfügung stellt eine Straftat dar, die nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden kann.

Der vollständige Wortlaut dieser Allgemeinverfügung inklusive Begründung kann im Internet unter www.marburg-biedenkopf.de eingesehen werden.

Kirsten Fründt
Landrätin
Marian Zachow
Erster Kreisbeigeordneter






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